Polenaustausch – DDR im Fokus

Die DDR bildet einen großen Teil der deutschen Geschichte – und doch lernen wir in der Schule so wenig über sie und behalten davon noch weniger. Genau dies versuchte der Polenaustausch, geleitet von Herrn Moser, dieses Jahr vom 17. bis zum 23. November zu verändern: Denn nun wurde in dieser Woche von dem ersten Protest 1953 bis zur versehentlichen Grenzöffnung 1989 die Geschichte der DDR ordentlich unter die Lupe genommen. Und natürlich hat dies das deutsche Team nicht alleine zu Stande gebracht: Wir hatten nämlich polnische Unterstützung, welche für uns noch interessanter war als die gesamte DDR :).

Und schon bereits direkt am ersten Tag stand uns ein großes Abenteuer bevor. Sonntag, den 17. November, fuhren wir nach Leipzig, wo wir dann für die ersten beiden Tage mit den polnischen Schülern in einem Hotel übernachtet haben. Leipzig ist nämlich eine sehr wichtige Stadt, wenn man sich den Umbruch in der DDR anschaut – alleine schon wegen der Montagsdemonstrationen, mit denen alle anderen ostdeutschen Proteste begonnen haben. Am Sonntag selbst waren wir allerdings viel zu müde, um noch irgendetwas darüber herauszufinden. Stattdessen trafen wir zum ersten Mal die polnische Gruppe und lernten auch unsere speziellen Austauschpartner kennen, die die meisten auch prompt in die Stadt entführten. Die Stimmung war nach dem ersten großen Luftanhalten leicht und fröhlich und wie hätten wir das auch nicht sein können? Wir waren immerhin Jugendliche, die in einer Großstadt freigelassen wurden und ich denke, für die polnischen Schüler war definitiv auch noch etwas Adrenalin mit im Spiel. Freundschaften wurden so am ersten Abend schon geschlossen, während man beispielsweise mitten in der Stadt stand und laut Weihnachtslieder gehört und dazu getanzt hat. Eines der wenigen guten Dinge an „Last Christmas“ ist wohl, dass es definitiv eine von den Sprachen unabhängige Wirkung erzielt :D.

Montag dann hatten wir natürlich etwas mehr Programm vor uns. Noch im Hotel wurden uns in Gruppen Informationszettel ausgeteilt, auf denen jeweils ein Gebäude beschrieben wurde. So konnten wir dieses der Gruppe kurz vorstellen, während wir die Innenstadt einmal genauer unter die Lupe genommen haben. Dazu gehörten natürlich auch berühmte Sehenswürdigkeiten wie das Gewandhaus, die Nicolaikirche oder auch das Stasi-Museum. Als wir damit erst einmal fertig waren, war es nach einer Mittagspause auch schon Zeit dafür, Pawel Gorszczynski zu treffen, einen Stadtführer, der mit uns die Montagsdemonstrationen rekonstruieren hat. Und dies schaffte er auch auf eine eindrückliche Weise – er führte uns den Weg entlang, die damals auch die Protestierenden gegangen sind, und erzählte uns viel, besonders über die Gefühle und Willensstärke dieser Demonstranten. So machte er uns begreiflich, wie gefährlich die erste große Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 war (denn die DDR beliebte bei so etwas nicht zu scherzen): 70.000 Menschen versammelten sich damals auf der Straße und es war das erste Mal, dass die Demonstration ein solches Maß angenommen hatte. 70.000 Menschen mit ihren Rufen und Transparenten und keiner von ihnen wusste, was der Staat tun würde – ob er sie dulden würde oder ob sie beschossen würden. Das hört sich jetzt vielleicht unglaublich an, aber etwas Ähnliches war tatsächlich schon vorher passiert – beim Volksaufstand 1953, wo der Staat sehr wohl hat schießen lassen. 70.000 Menschen, nicht sicher, ob sie wieder nachhause gehen könnten. Mitreißend war auch eine Sache, welche Pawel uns erzählt hat: In vielen Familien ging nur ein Elternteil zu den Demonstrationen, damit die Kinder im schlimmsten Fall keine Waisen würden. Die Angst, die die Menschen daher während den Demonstrationen spüren mussten, wurde für uns immer nachvollziehbarer, als wir so die Strecke abliefen.

Hier sind die Montagsdemonstrationen einmal in Kunstform dargestellt:

Unsere Reise in die Vergangenheit ging am nächsten Tag im Zeitgeschichtlichem Forum weiter. Hier durften wir uns eine sehr interessante Museumsausstellung anschauen, die uns im Besonderen das alltägliche Leben in der DDR näher brachte – Kleidung, beliebte Essensgegenstände und sogar die typischen Autos konnte man sich hier anschauen. Anhand dieser sehr unscheinbaren Dinge ist es unserer Museumsführerin sogar gelungen, zu erklären, wie auch das Verbot der Jeans im Osten zur Revolution beigetragen hat. Über diese eher „unscheinbaren“ Beiträge zu den Aufständen und das tägliche Leben zu erfahren, aber auch für den, der sich eher von großen Dingen beeindrucken lässt, war etwas dabei: In der Ausstellung konnte man unter Anderem nämlich auch einen Panzer besichtigen.

Spaß gemacht hat diese Besichtigung also auf jeden Fall, auch wenn dies der Tag war, an dem wir uns leider gleichzeitig von Leipzig verabschieden mussten. Nachdem wir nach dem Museum noch etwas mehr Zeit hatten, um zu Mittag zu essen und Leipzig eigenständig zu erkunden, sind wir so wieder nach Lachendorf zurückgefahren – und haben unsere Austauschschüler auch das erste Mal mit nachhause genommen.

Diese Angelegenheit war wohl für alle eine spannende Sache, weil wir zu diesem Punkt das erste Mal praktisch dazu gezwungen waren, mit unseren jeweiligen Partnern alleine Zeit zu verbringen und sie unseren Familien vorzustellen. Aber es war wohl auch die Zeit, in der die Bindung zu unserem Austauschpartner am stärksten gewachsen ist, und dafür lohnt es sich doch immer. Selbst dann, wenn die Busse viel später als geplant ankommen und man eigentlich nur noch in sein Bett fallen möchte, sobald man zuhause ankommt. Auch ein müdes Einverständnis ist immerhin noch ein Einverständnis.

Früh mussten wir dafür am nächsten Tag glücklicherweise nicht raus, wir haben uns erst um 9 Uhr an der Schule getroffen, um uns danach in Hötensleben die alte innerdeutsche Grenze anzuschauen. Hier konnten wir sogar eine Führung durch die teilweise immer noch bestehenden Gebäude mit erleben und so einen (legalen) Grenzübergang für Westdeutsche nachvollziehen – und wenn wir daraus eine Schlussfolgerung gezogen haben, dann wohl, dass selbst dies nicht gerade unkompliziert war. Die Anlage erstreckt sich über mehrere hundert Meter mit verschiedenen Stationen wie zum Beispiel einer Pass-, Gepäck oder Autokontrolle. Das Besondere an dem Übergang soll wohl laut unserem Führer die Willkür der Kontrolleure gewesen sein: Stichproben waren so nie vorhersehbar und auch Leute, die nichts Illegales transportierten, trauten sich nicht, viele Fragen zu stellen.

Später war es uns auch noch möglich, einen näheren Blick auf einen noch bestehenden Mauernteil zu werfen, wo uns besonders die vielen Apparate auffielen, die neben der eigentlichen Mauer noch zur Grenzsicherung beitrugen. Wachtürme, Stacheldrahtzäune,  Selbstschussanlagen und noch einiges mehr wurde damals hinter der Mauer errichtet, denn als die Lebensumstände in der DDR immer schlechter wurden, haben natürlich auch viele Leute versucht, diesen über die Grenze hinweg zu entkommen – und mussten dafür häufig mit ihrem Leben bezahlen. Auch heute, beinahe dreißig Jahre später, sind die vielen Opfer der Mauer noch nicht vergessen.

Der Workshop, den wir am Donnerstag besucht haben, konzentrierte sich dann das erste Mal wirklich konkret auf die deutsch-polnischen Beziehungen. Hier kam das Wissen unserer Austauschschüler ebenfalls tragend ins Spiel, als wir nach mehreren kurzen Vorträgen schließlich eigens in Gruppen Referate zu verschiedenen Aufgabenstellungen erarbeiten mussten. Und auch, wenn die Aufgabenstellungen über eine reiche Bandbreite verfügten – von schauspielerischen Sketchen bis hin zu Karikaturanalysen – wurde uns eines, etwas Peinliches, klar: Die meisten polnischen Schüler wussten über die deutsch-polnischen Beziehungen viel besser Bescheid als wir überhaupt über die ersten deutschen Kanzler. Persönlich kann ich sagen, dass mein Austauschpartner sogar ein reicheres Wissen über die DDR verfügte als ich. Vielleicht auch, weil sie sich im polnischen Schulsystem viel mehr mit der Vergangenheit des Kommunismus auseinandersetzen als wir, da es ein fester Teil ihrer Geschichte ist.

Spannend wurde es daher auch, als wir Freitagmorgen ein Gespräch mit Ellen Schernikau hatten – einer vom Kommunismus überzeugten Zeitzeugin, die damals erfolgreich über die Grenze hinweg „umgezogen“ ist, wie sie es selbst nennt. Dank ihr konnten wir die Geschichte, von der wir die Woche über gelernt hatten, endlich „live“ vor uns erleben – und was für ein Erlebnis es war! Ich glaube, für uns alle sprechen zu können, wenn ich sage, dass es immer etwas Anderes ist, nur von einer Tragödie zu hören, als mit jemandem zu sprechen, der durch die Tragödie hinweg gelebt hat. Mit Ellen wurde all das erst wirklich lebendig und greifbar für uns, und der ganze Raum war gespannt und leise, als sie uns von ihren eigenen Erfahrungen in der DDR erzählt hat. Dabei haben ihre Erzählungen auch ziemlich viel Diskussionsmaterial geliefert, denn das Besondere an Ellen Schernikau ist genau diese positive Einstellung zum Kommunismus, denn damals ist sie nur in den Westen geflüchtet, weil der Vater ihres Sohnes dort war. Eigentlich liebte sie nämlich die DDR und wäre liebend gerne auch dahin wieder zurückgekehrt. Ihr Fragen zu Ideologien und ihrem Leben zu stellen, war so eines der interessantesten und lebendigsten Dinge, die wir in der Woche erlebt haben, und setzte einen tollen Schlusspunkt.

Natürlich haben wir danach auch noch eine kurze Ergebnissicherung durchgeführt, in der wir in Kleingruppen Arbeitsblätter zu verschiedenen Themen anfertigen sollten.

Da dies der letzte Tag war, fand am Abend ebenfalls noch eine Abschiedsfeier für unsere polnischen Freunde statt, und obwohl wir uns am nächsten Morgen schon viel zu früh wieder auf den Weg machen mussten, war es diese Nacht definitiv wert :).

Wir waren natürlich ein wenig traurig, als der Bus schließlich zurück nach Polen fuhr und wir nur noch winken konnten. Dieser Austausch hat uns viel gelehrt. Er hat uns neue Freunde gegeben, ein anderes Land nähergebracht und die Vergangenheit Deutschlands präsenter wirken lassen als jemals zuvor. In diesem Sinne werden wir diese Woche wahrscheinlich auch nie ganz vergessen. Und unser Abenteuer mit den Polen ist auch noch lange nicht vorbei – im Sommer fahren die deutschen Schüler nämlich nach Łódź in Polen und machen dort die Straßen unsicher. Wir freuen uns darauf natürlich schon riesig und bis dahin können wir wohl nur abwarten, was der nächste Teil dieser Reise wohl bringen wird :D.

von Maxine Eicker

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