„Die Zeugen der Zeit“ oder auch „Eine andere Sicht auf die DDR“
Wenn ältere Leute sich mit Jugendlichen über ihre Erfahrungen und Erlebnisse unterhalten, wird es immer spannend. Oft sieht es die heutige Jugend ganz anders als die Älteren, woran wahrscheinlich auch der immer schnellere Wandel der Normen schuld ist. Umso interessanter ist darum das Konzept des „Zeitzeugengesprächs“, das daraus besteht, dass ein Zeitzeuge (auch als „älterer Mensch“ bekannt) in einem Gespräch über das Ereignis der Begierde berichtet, bei dem er selbst Zeuge war. So, jetzt ergibt sich auch der Name :D.
Dass das ganz cool sein könnte, dachte sich auch die 9e und stimmte daher Herrn Mosers Vorschlag zu, eine alte Bekannte von ihm einzuladen, um ein wenig mehr über das damalige Leben in der DDR zu erfahren. Auch, weil es gerade so gut in das Unterrichtsthema passte. Und, um es schon mal vorweg zu nehmen, es war verdammt interessant. Vom ersten Augenblic
k an, als Ellen Schernikau den Raum betrat, hatte sie die ganze Aufmerksamkeit. Und das war schon ziemlich ungewöhnlich, da für diesen Besuch sogar extra noch ein Kurs zu unserer Klasse hinzukam. Als sich endlich alle gesetzt hatten, ging es dann auch schon los. Herr Moser stellte uns einander kurz vor, dann gehörte Ellen die Bühne, aber wieder alleine, und konnte uns ihre Geschichte erzählen. Ganz ehrlich, sie klingt ein wenig so wie ein Roman. Daher passt es auch, dass ihr Sohn Schriftsteller geworden ist, ein ziemlich bekannter sogar, aber jetzt springe ich schon wieder in der Reihenfolge. Ellen Schernikau wurde vor achtzig Jahren geboren und war neun, als der Zweite Weltkrieg geendet hat. Die Kriegszeit selbst hat sie eher in schlechter Erinnerung und musste sich auch zusammenreißen, um zum eigentlichen Thema zu kommen, das damalige Ost- und Westdeutschland. Ursprünglich lebte Ellen nämlich noch mit ihrem Sohn Roland in der DDR von der Gründung an, allerdings war der Vater in Westdeutschland. Er bat sie beide zu ihm in den Westen zu flüchten, aber Ellen mochte es in der DDR und wollte zuerst nicht. Sie liebte die Idee des Sozialismus und fand diesen Ort ideal, um ein Kind großzuziehen. Doch mit der Zeit überkam sie auch das schlechte Gewissen, dass ihr Sohn ohne einen Vater aufwuchs. So entschloss sie schließlich, in den Westen „umzuziehen“, wie sie es selbst bezeichnet. Nur, dass man bei einem normalen Umzug nicht wie sie im Kofferraum einer Fluchthilfegesellschaft reist und nur knapp der Grenzkontrolle entkommt. Wie gesagt, es hört sich an wie ein ziemlich charmanter Roman. Als Ellen mit ihrem Sohn Roland dann schließlich in Westdeutschland angekommen ist, scheint das Leben aber nur Enttäuschungen für sie bereit zu halten. Der Vater hatte Ellen
nämlich vorenthalten, dass er bereits mit einer anderen Frau zusammen lebte und auch Kinder mit ihr hatte. Endresultat: immer noch kein Vater für Roland, aber ein schlechteres Leben, wie Ellen fand. Im Gegensatz zum freundlichen, sozialistischen Osten kam ihr der Westen kalt und distanziert vor. Im Kapitalismus könne man alles haben, es berge aber auch die Gefahr, alles zu verlieren, was Ellen nicht gut fand. In der DDR allerdings hielte man zusammen und werde erfinderisch, wobei man auch die nötige Menge an Respekt erlerne. Dieses Gefühl des Zusammenhalts ist etwas, was Ellen sehr im Westen vermisst; sie ist erschrocken, wie respektlos und vereinzelt die Menschen sowohl heute als auch damals nur für sich selbst kämpfen. Insgesamt hat Ellen uns im Gespräch noch viele Vor- und Nachteile des Ostens und des Westens genannt und uns auch von ihrem Sohn erzählt, der ein
bekannter Schriftsteller wurde und der letzte Kommunist (so auch der Titel eines seiner Bücher) war, leider allerdings schon verstorben ist. Sie hat uns von seinen Büchern und seinen Idealen erzählt, wie er immer den Drang hatte, im Osten zu leben und es dann schließlich auch schaffte. Wie er immer nur das Gute in Menschen sah. Letzteres kann man allerdings auch auf die Mutter zurückführen, denn auch sie zeigt einen starken Optimismus, wenn sie von der DDR spricht. Sie findet, dass die DDR garantiert nicht perfekt war und viele Dinge falsch gemacht hat, aber die Idee dahinter war optimal; auch wenn die Umsetzung dieser Ideale ein großes Vertrauen in die Menschheit erfordert. Ellen will den Sozialismus, nicht die DDR. Aber wie sie sagt, wenn man etwas liebt, dann muss man es auch kritisieren können. Im Allgemeinen findet sie, dass es heutzutage viel zu viele Vorurteile über die DDR gibt und diese auch sehr übertrieben sind. Zum Schluss schärfte sie uns noch etwas Wichtiges ein, von dem so manch einer auch mal hören sollte: Falle nie auf Vorurteile herein! Ellen Schernikau hat uns auch noch ein Zitat aus den Büchern ihres Sohnes vorgetragen, mit dem ich diesen Artikel gerne beende: „Frage jemanden nach seiner Wirklichkeit und seinem Ideal. Wenn jemand anfängt, zu lamentieren, vergiss ihn. Fängt er an, von seinem Ideal zu schwärmen, dann geht es los.“
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